Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Freunde

 

Mein Name ist Juliane Schulz. Ich spreche hier als Witwe eines Radarsoldaten und Mutter einer durch die Verstrahlung ihres Vaters schwerbehinderten Tochter.

Ich möchte Ihnen, stellvertretend für alle anderen Betroffenen der Bundeswehr und der NVA, die Geschichte meiner Familie erzählen. Unser Schicksal ist leider kein Einzelfall.

 

Mein Mann hieß Klaus-Peter. Wir lernten uns 1975 kennen, als er bei der NVA als Zeitsoldat zum Radarmechaniker ausgebildet wurde.

Von Oktober 1974 bis Oktober 1977 diente er in der Armee. Seine Dienststelle befand sich bei der Luftwaffe der NVA in Cottbus, in einer Reparaturwerkstatt als Mechaniker für Radaranlagen.

Er hat mir von seiner Arbeit erzählt, auch von der Reparatur an den laufenden Anlagen. Auf meine Frage ob dies nicht gefährlich sei, versicherte er mir, das wäre alles ganz harmlos und sicher.

Nach seiner Entlassung aus der Armee begann Klaus-Peter im November 1977 sein Studium der Elektrotechnik/Elektronik an der Universität Rostock.

Wir hatten inzwischen geheiratet und im Januar 1979, 14 Monate nach Beendigung der Armeezeit wurde unsere Tochter Ulrike geboren, Sohn Christoph folgte 1981.

 

Wir waren glücklich, unsere Kinder wuchsen heran, Klaus-Peter arbeitete nach dem Studium weiter als Assistent an der Universität Rostock und promovierte.

Dann kam die Wende 1989, die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Mein Mann arbeitete nun als Entwicklungsingenieur, ich im Universitätsklinikum Hamburg, Krebsabteilung, als Dokumentationsassistentin. Es war, wie man so schön sagt, alles in bester Ordnung, und wir sahen optimistisch in die Zukunft.

 

Im Februar 1995 stellten sich bei Klaus-Peter plötzlich Verdauungsbeschwerden ein, er tastete selbst einen großen Tumor im rechten Oberbauch. Es folgten die üblichen Untersuchungen und im März die Operation. Die Diagnose Darmkrebs war niederschmetternd. Im Bauch befanden sich viele kleine Lymphknoten-metastasen, die Bauchspeicheldrüse und der Zwölffingerdarm waren vom Darmtumor durchwachsen.

Zwei Chemotherapien folgten, brachten aber keinen Erfolg, sodass mein Mann Ende Mai zum Sterben nach Hause entlassen wurde.

Ich konnte nicht mehr arbeiten, war krankgeschrieben und habe ihn versorgt, Morphium gespritzt und versucht, die Hoffnung nicht zu verlieren

Klaus-Peter war so traurig, verzweifelt und hatte große Sorgen um die finanzielle Versorgung seiner Familie. Ich habe ihn belogen und das Blaue vom Himmel herunter erzählt, was Rentenansprüche betraf, um ihm wenigstens diese Sorge zu nehmen.

Am 29. Juli 1995, unserem Hochzeitstag, starb er im Alter von 39 Jahren.

 

Nach der Beerdigung habe ich wieder gearbeitet. Das fiel mir um so schwerer, als sich meine Arbeitsstelle in der Abteilung der Klinik befand, in der Klaus-Peter die Chemotherapien erhalten hatte. Aber die Kinder gaben Kraft und halfen mir durchzuhalten.

 

Irgendwann begann ein wenig sogenannte Normalität wieder in mein Leben einzuziehen; bis zum 15. Februar 1999. Unsere Tochter Ulrike befand sich mitten in den Abiturvorbereitungen und klagte schon einige Tage über Rückenschmerzen. An diesem Tag wurden die Schmerzen heftig, das rechte Bein taub, und es verfärbte sich bläulich.

Im Krankenhaus wurde sonograpisch eine tiefe Beckenvenenthrombose diagnostiziert, sowie eine mehrere Zentimeter durchmessende Raumforderung gefunden.

Als ich das Wort „Raumforderung“ (für mich gleich Krebs) hörte , habe ich die Klinik fluchtartig verlassen.

Am nächsten Tag wurde festgestellt, dass Ulrike keine große Bauchvene hat und die Raumforderung kein Krebs, sondern die Ausbuchtung einer dadurch überlasteten kleineren Vene war. Die Thrombose konnte nicht beseitigt werden.

Die Ärzte sagten uns, dass dies ein sehr seltener genetischer Schaden wäre. Wodurch er ausgelöst wurde,. konnten sie damals nicht sagen.

Wir waren sehr erleichtert, hatten aber keine Ahnung, was für Konsequenzen diese Anomalie haben würde.

Das Bein schwoll schon bei geringen Belastungen an, Rad fahren, Laufen, Tanzen, Teppen steigen, Stehen, alles war nur noch mit Schmerzen möglich.

Es wurde nun auch klar, warum Ulrike als Kind nicht gern lange lief. Der Blutrückfluss aus den Beinen war behindert und bewirkte eine schnelle Erschöpfung. Untersuchungen des Herzens damals erbrachten Normalbefunde, und wir Eltern waren damit beruhigt.Wir dachten, sie wäre halt unsportlich.

 

Im Februar 2001 erfolgte die erste große Operation in der Uniklinik Düsseldorf. Es wurde ein künstliches Gefäß vom Herzen zu beiden Beinen eingesetzt. Ulrike ging es dann sehr schlecht, sie hatte heftige Schmerzen, viele Komplikationen, und auch die Psyche spielte irgendwann nicht mehr mit.

In den folgenden 2 Jahren wurden noch acht z.T. große Operationen durchgeführt. Das linke gesundere Bein ist nun wohl außer Gefahr, das gleiche Schicksal wie das rechte zu erleiden. Dem rechten kranken Bein geht es leider nicht besser.

 

 

 

Ich habe versucht, möglichst bei meiner Tochter in der Klinik zu sein und gleichzeitig meiner Arbeit nachzugehen. Als der Urlaub verbraucht war, bin ich oft mit dem Auto zwischen Klinik und Arbeitsstelle hin und her gefahren.Zwischen beiden liegen 400 km.

Ulrike ist künstlicher Bluter und wird es ein Leben lang sein. Die oben beschriebenen Behinderungen bleiben.

Was ihr die Zukunft bringt, macht mir noch immer Angst.

 

 

Für mich ist der Gedanke nur schwer zu ertragen, daß es den Verantwortlichen in beiden Armeen bekannt war, was mit den Soldaten passierte, welche sich an und in den Radaranlagen befanden.

Sie wussten um die Folgen dieser gefährlichen Strahlung und haben nicht gewarnt und nicht gehandelt; im Gegenteil,diese Informationen wurden als streng geheim eingestuft. Es wurde alles getan, um diese Informationen zu unterdrücken.

Die Fürsorgepflicht der Dienstherren für junge wehrpflichtige Soldaten wurde verbrecherisch missachtet.

 

Nun sollen wir die Folgen tragen ohne uns zu wehren?!

 

Es ist unwürdig und beschämend für das Verteidigungsministerium und die ganze Regierung, wie heute mit den Opfern umgegangen wird. Die kranken ehemaligen Soldaten, die genetisch geschädigten Kinder, die Witwen werden allein gelassen und damit nochmals verraten.

 

Wir fordern für alle noch Lebenden und für die nahen Angehörigen der vielen bereits Verstorbenen eine Anerkennung der Schuld der damaligen Dienstherren und das an Wiedergutmachung, das heute noch möglich ist.

 

Wir fordern, die Verjährungsfrist auch für die ehemalige NVA-Soldaten und ihre Angehörigen aufzuheben. Mit dem 31.Dezember diesen Jahres würden sonst alle unsere Ansprüche erlöschen.

Nur werden unsere Sorgen und Probleme am 31. Dezember nicht vorbei sein. Außerdem werden auch in Zukunft noch Opfer dieses Skandals erkranken, welche sich heute noch gesund wähnen. Krebs ist heimtückisch.

 

Wir fordern deshalb ein Entschädigungsgesetz für alle Radaropfer.

 

Wir forderen das Verteidigungsministerium und die ganze Regierung auf, sich ihrer Verantwortung zu stellen.

 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.